Voller Power! - Wirklich?
„Man glaubt gar nicht, dass Du krank bist, Du wirkst so voller Power!“ – Das war die Rückmeldung von Freunden, mit denen ich zusammen mit meinem Mann ein kurzes Videotelefonat geführt habe. Ja und genau so fühle ich mich immer mal wieder für eine kurze Zeit. Dann kommt es dem Umfeld so vor, als wäre die Tanja von früher zurück. Doch die Menschen, die mich nicht 24/7 erleben, sehen ja immer nur einen kleinen Ausschnitt des Tages. Und meistens den, in dem es mir ganz gut geht.
Trotzdem hat mich das sehr zum Nachdenken gebracht, als mir geraten wurde, nicht mit meiner kompletten Energie in eine Aktivität hineinzugehen. Es „ruhiger“ angehen zu lassen, mich mehr „zurückzunehmen“. Nicht alles auf einmal zu geben. Denn so wirkt das anscheinend auf andere Menschen, wenn ich mich aktiv am Gespräch beteilige, ganz Ich bin. Mich einfach freue, mit Freunden zu plaudern. Und diese Freude auch zeige. Ganz unrecht haben sie natürlich nicht: Wenn ich ehrlich bin, gehe ich wirklich mit allem, was ich bin, mit voller Kraft und mit Enthusiasmus in so ein Gespräch.
Ich habe mich gefragt, wie ich das machen sollte, dieses „es ruhiger angehen lassen“. Dann müsste ich mich gefühlt schon arg verbiegen, aber da könnte ja wirklich was dran sein?! Es ist zumindest wert, es zu versuchen, denn gerade bei Gesprächen merke ich, wie meine Energie nur so dahinschmilzt. Ich weiß auch, dass beim Sprechen sehr viele Muskeln beteiligt sind und dementsprechend die muskuläre Erschöpfung auch recht schnell gehen kann. Also wäre es durchaus eine Überlegung wert, wie es schonender gehen könnte: Zum Beispiel wenn man langsamer spricht. Denn je schneller man spricht, desto schneller atmet man, die Herzfrequenz geht hoch und die Energie schwindet schneller.
Alles einleuchtend und logisch. Bleibt nur noch die Emotion: Da hat man sich vor dem Gespräch ausgeruht, freut sich alte Freunde wiederzusehen – und soll gute Laune, Freude und Enthusiasmus nun einfach „runterregeln“?! Das ist verdammt schwer! Und das bin auch nicht ich. Doch inzwischen habe ich eines gelernt und akzeptiert: Mit ME/CFS ist gar nichts mehr, wie es mal war. Und auch wenn sich vieles nicht mehr nach dem alten Ich anfühlt: Ein umdenken und -fühlen ist notwendig und auch ein Teil des Pacings.
Ob sich das einfach umsetzen lässt? Wohl kaum! Aber was ist schon einfach, wenn man beim Pacing konsequent ist?! Es ist wieder ein kleines Puzzlestück im ME/CFS-Universum, das auf vielen Ebenen wirkt: Wenn man ausgeruht schon auf Freunde so voller Power wirkt, wie ist es dann bei Ärzten und Behörden? Da paced man ja auch vorher gut, damit man nachher nicht crasht.
Das ist jetzt kein Aufruf, im schlechtesten Zustand solche Termine wahrzunehmen nur um glaubwürdiger zu wirken!!! Aber man könnte vielleicht wirklich üben, sich „zurückzunehmen“, langsamer zu sprechen, mehr Luft zu holen zwischen den Sätzen, die Emotionen zu zügeln. Und damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Gesprächen künftig vielleicht ein paar Minuten länger beizuwohnen und die Außenwirkung ein wenig zu verändern.
Wie ist das bei Euch? Seid Ihr für eine gewisse Zeit auch voller Power, wenn Ihr gut gepaced habt? Wie geht Ihr selber, wie geht Euer Umfeld damit um?
Ihr möchtet den Post kommentieren? Die Kommentarfunktion ist nur im Mitgliederbereich freigeschaltet. Über den Button „Subscribe“ könnt Ihr Euch dort registrieren und bekommt eine Nachricht bei neuen Posts. Über den Button „Sign in“ meldet Ihr Euch im Mitgliederbereich an und könnt kommentieren und liken. Ich freue mich auf Eure Kommentare!