Striktes Pacing fühlt sich manchmal ganz schön egoistisch an!
Es war mal wieder so ein Tag, an dem mir das Pacing extrem schwer gefallen ist: Ich habe mich um kurz vor 10 Uhr sooo müde aus dem Bett gequält, weil ich vor Rückenschmerzen einfach nicht mehr liegen konnte. Eigentlich wollte ich mit einer Freundin telefonieren, habe ihr aber abgesagt, weil mir dafür die Energie fehlte. Nach dem Frühstück hat mir mein Mann sein Herz ausgeschüttet, denn auch er hat mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen.
Wir haben fast 2 Stunden über seine Ängste und Sorgen geredet. Klar war das eindeutig zu lange, aber ich mache mir natürlich auch Sorgen um ihn und möchte für ihn da sein! Nach einer längeren Mittagspause mit Kopfhörern und Augen zu habe ich ihm dann noch bei einem Problem mit der Einrichtung seines neuen PCs geholfen.
Dass so etwas eigentlich zu viel für mich ist, versteht sich von selbst. Aber ich stecke da in einer absoluten Zwickmühle: Ich fühle mich in gewisser Weise dafür verantwortlich, dass er nicht das Leben leben kann, was er sich eigentlich mit mir erträumt: Mein Mann liebt Spontanität und wir sind immer gerne in Restaurants oder zum Frühstücken gegangen, in den Urlaub gefahren und haben Konzerte besucht. Zudem war der Plan, irgendwann Deutschland zu verlassen und in den Süden auszuwandern. Nun fährt er notgedrungen alleine in den Urlaub und geht alleine zu Feiern im Familien- und Freundeskreis.
Und wenn er dann mal akut Unterstützung von mir braucht, soll ich sagen „Nee Du, das strengt mich jetzt zu sehr an!“? Klar, wenn man nüchtern von außen draufsieht, kann man sehr wohl sagen, er muss alleine klarkommen, ich bin krank. Das wäre auch pacing-konform. Aber in der Realität fühlt sich das für mich so was von egoistisch an, das bringe ich meistens nicht übers Herz.
Auch könnte er sich – wie viele andere pflegende Angehörige auch - psychologische Hilfe holen. Und würde das auch tun. Aber das ist in Deutschland ja alles andere als einfach: Derzeit beträgt die Wartezeit auf ein Erstgespräch ungefähr 10 Monate. Und was soll er in der Zwischenzeit mit seinen Gefühlen machen? Mit Freunden, Bekannten, Verwandten reden, die genug mit sich selbst zu tun haben und denen man immer wieder aufs Neue erst einmal ME/CFS und unser Leben damit erklären muss?! Zudem möchte man manche Dinge aber gar nicht mit Außenstehenden besprechen - und dann?
Irgendwie bin ich ja auch froh, ihm auch etwas geben zu können, wenn er für mich schon auf so viel verzichtet. Das fühlt sich dann für einen Moment wieder wie eine „normale“ Ehe an, in der sich Geben und Nehmen die Waage halten. Dann fühle ich mich auch mal wieder gebraucht. In unserem Alltag bin ja ich diejenige, die krankheitsbedingt mehr nimmt als gibt - auch wenn das komplett gegen mein Naturell ist und ich lange gebraucht habe zu akzeptieren, dass das meine neue Realität ist.
Wie zu erwarten habe ich natürlich auch prompt die PEM-Quittung für meine Überlastung bekommen: Kopfschmerzen, meine Kniegelenke brannten wie Feuer und ich war total aufgedreht. Und das Ende vom Lied: Mein Mann hat sich Vorwürfe gemacht und ich habe mir gedacht: "Schön, dass ich ihm mal was zurück geben konnte". Und dafür nehme ich dann auch mal die schmerzenden Folgen hin.
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