Die Stille nach dem Crash

Die Stille nach dem Crash
Photo by Andraz Lazic / Unsplash

Es ist still. Nicht die friedliche Stille, die ich sonst suche, sondern eine, die schwer auf allem liegt. Eine Stille, in der selbst Denken zu laut ist, Atmen anstrengend, und jede Bewegung den Körper in Protest versetzt. Diese Stille kommt nach einem Crash. Und sie ist jedes Mal anders – und doch immer gleich brutal.

Wenn der Körper die Notbremse zieht

Ein Crash (PEM) bei ME/CFS ist kein gewöhnlicher Erschöpfungsmoment. Es ist, als würde der Körper sagen: „Genug. Ich kann nichts mehr verarbeiten.“ Es ist, als hätte ich drei Nächte nicht geschlafen, hätte einen riesigen Kater, wäre zusammengeschlagen worden und hätte obendrauf eine Grippe.

Diese Mischung aus vier Zuständen gleichzeitig ist eine Qual: Die Kopfhaut ist so empfindlich, dass selbst ein Kissen zu viel Reiz ist. Ich höre Geräusche, die sonst banal sind – Wasser, das aus dem Hahn läuft, Schritte auf dem Flur – und sie tun weh. Licht wird zu grellem Schmerz. Alles in mir schreit nach Dunkelheit, Ruhe und Abwesenheit von Reizen.

Schmerzhaft, bleischwer, grippig

Der Kopf fühlt sich an, als wäre er in einer zu engen Hülle gefangen, die brennt und drückt. Manchmal denke ich: Wenn ich ihn nur kurz an die Wand schlagen könnte, vielleicht ließe dieser unmenschliche Schmerz endlich nach. Übelkeit und Schwindel geben mir das Gefühl auf hoher See in einen Sturm geraten zu sein. Der ganze Körper, jeder Muskel, jedes Gelenk – alles tut weh. Bei jeder kleinsten Bewegung. Wobei das eigentlich keine Rolle spielt, weil die bleierne Erschöpfung sowieso jede Lust auf Bewegung schon im Keim erstickt. Denn es fühlt sich an, als würden an Armen und Beinen große Gewichte hängen.

Der Weg ins Bad wird zur Mount Everest Besteigung: nach Luft japsend mit einem 150 Kilo Rucksack auf dem Rücken und der Weg vor mir unbezwingbar. Gleichzeitig friere ich jämmerlich, egal wie viele Decken ich auf mir habe. Im Hals sind gefühlt tausend Glassplitter und trotz des Frierens fühle ich mich fiebrig.

Was hilft

In diesen Momenten zählt nur noch Schutz. Kühle Luft, Dunkelheit, Ruhe. Ohrstöpsel, Schlafbrille, warme Decken, süße Kleinigkeiten. Keine Gespräche, kein Licht, keine Bewegung. Und manchmal, wenn es ganz schlimm ist, ist es nur die Umarmung meines Mannes, die mich ein bisschen tröstet – ohne Worte, einfach da sein. Diese Nähe die sagt: Du bist sicher. Und das ist alles, was mein Nervensystem in solchen Stunden braucht.

Die Angst, dass es so bleibt

Für mich ist das Schlimmste an einem Crash nicht nur das Aushalten der körperlichen Symptome: es ist auch die Angst, dass dieser Zustand bleibt. Jeder Crash birgt diese Gefahr. Denn niemand weiß, ob der Körper diesmal wieder vollständig herausfindet oder ob ein weiteres Stück Stabilität verloren geht. Diese Angst sitzt leise im Hintergrund, wie ein Schatten.

Und mit dieser Angst kommen die Fragen: Was habe ich falsch gemacht? War das Haarewaschen vorgestern doch zu viel? Hätte ich gestern nicht an meinen Blog weiterschreiben sollen? War es zu wenig Ruhe? Habe ich die Luftdruckschwankungen nicht bedacht, den schlechten Schlaf unterschätzt, den einen Reiz, den einen Gedanken zu viel zugelassen? Es ist ein endloses Grübeln nach einem Warum, das es so eindeutig vielleicht gar nicht gibt.

Manchmal, in stillen Momenten, schleicht sich sogar diese irrationale Frage ein: Wofür werde ich mit dieser Krankheit bestraft? Ich weiß, dass das keine Logik hat, doch dieser Gedanke kommt, wenn Körper und Geist im Ausnahmezustand sind. Ein Crash ist nicht nur Erschöpfung – er kann auch ein Schritt tiefer in die Krankheit sein.

Die Welt läuft weiter – ich bleibe stehen

Für Außenstehende ist das meist kaum zu begreifen. Ich verschwinde plötzlich aus dem Alltag, sage Treffen ab, antworte nicht auf Nachrichten. Nach außen wirke ich vielleicht einfach müde oder zurückgezogen. Aber in Wirklichkeit kämpfe ich darum, dass mein Körper nicht für immer zusammenbricht. Es fühlt sich an, als würde die Welt weiterlaufen, während ich in einem stillstehenden Körper feststecke.

Auch für meinen Mann sind die Zeiten des Crashes sehr schwer. Er sieht mich leiden, möchte helfen, aber kann es nicht. Er hält aus, was kaum auszuhalten ist – die Ohnmacht, das Nichtstunmüssen, die Angst, dass dieser Zustand vielleicht bleibt. Oft wird vergessen, dass ein Crash nicht nur diejenigen betrifft, die krank sind, sondern auch die Menschen, die mit ihnen leben. Sie crashen mit – nur anders.

Ich bin meinem Mann unendlich dankbar: für das stille Mittragen, das Dableiben, das Sehen, für die Liebe, die nicht wegsieht, sondern bleibt, auch wenn das Leben für eine Weile stillsteht.

Warum ich das teile

Ich habe diesen Beitrag geschrieben, weil ich möchte, dass Menschen - vor allem diejenigen, die nicht mit uns zusammen leben - verstehen, was ein Crash wirklich bedeutet. Es ist so viel mehr als „ein bisschen mehr müde sein als sonst“. Es ist ein totaler Systemabsturz, körperlich, emotional und neurologisch. Ein Zustand, in dem Denken, Fühlen und Wahrnehmen schmerzen.

Pacing ist meine tägliche Strategie, um mich davor zu schützen, doch auch mit aller Achtsamkeit lässt sich ein Crash nicht immer verhindern. Darum ziehe ich mich manchmal präventiv zurück: um die Gefahr einer weiteren Verschlechterung zu minimieren. Das ist kein Aufgeben, sondern Selbstfürsorge.

Wenn du jemanden mit ME/CFS kennst: Bitte glaube nicht, dass Rückzug Desinteresse ist. Er ist Schutz. Manchmal ist das größte Zeichen von Nähe, wenn du einfach nur da bist – ohne Worte, ohne Erwartungen, in stiller Verbundenheit.

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