Prinzessin auf der Erbse? Wohl kaum!
Als ich letztens auf meinem Geburtstagskalander die Einträge für frühere Freunde gesehen habe, wurde mir mal wieder bewusst, wie viele Menschen ich durch meine ME/CFS Krankheit verloren habe. Einige haben sich komplett von mir abgewandt, bei anderen bin ich diejenige gewesen, die den Kontakt irgendwann abgebrochen hat. Das mag jetzt hart klingen, aber auch das ist in gewisser Weise Pacing: Denn für mich heißt Pacing auch, meine wenige Energie nicht mehr für andere und deren teilweise sehr unsensibles Verhalten zu verschwenden. Aber zum Glück gibt es noch einige liebe Menschen, die mich weiterhin begleiten.
Früher habe ich kleine, undramatische Spitzen und Verletzungen ganz gut wegstecken können - ohne auf die Idee zu kommen, irgendwann den Kontakt abzubrechen. Heute sind die Emotionen durch Verletzungen viel heftiger und gehen viel tiefer. Vor allem Sätze wie „Was, es geht Dir immer noch nicht besser, das gibt es doch gar nicht!“ oder „Ich bin auch immer müde“ oder „Den ganzen Tag faul rumliegen, das würde mir auch gefallen!“ machen mich einfach nur wütend und traurig. Manchmal traue ich mich dann zu sagen, dass sie gerne mit mir tauschen können.
Oft habe ich auch das Gefühl, die meisten Menschen können und/oder wollen sich gar nicht vorstellen, was diese Krankheit für die Betroffenen bedeutet. Wieviel Traurigkeit herrscht über geplatzte Träume, das Unvermögen an Familienfeiern oder Hochzeiten im Freundeskreis teilzunehmen, die krassen Einschränkungen im Freizeitbereich hinzunehmen. Pacing ist für ME/CFS-Patienten im Moment fast die einzige Option ihren derzeitigen Zustand eventuell halten zu können.
Aber es macht auch unendlich einsam und benötigt in meinen Augen eine starke Persönlichkeit, sich jeden Tag aufs Neue so ziemlich alles zu versagen, was Spaß macht. Die Spaßbremse zu sein, die dem Besuch nach einer halben Stunde signalisiert dass sie nicht mehr kann und eine Pause braucht.
Kommt dann noch dazu, dass das Umfeld kein Verständnis hat, man immer wieder aufs Neue erklären muss, warum man nicht mit zur Party kommen kann, beim Mädelsabend wieder passen muss, ist man die ständigen Rechtfertigungen echt leid. Vor allem kosten sie Kraft und Energie, die ja eh schon kaum vorhanden ist. Irgendwann war es mir dann zu viel und ich habe meinem Umfeld deutlich gesagt, dass mir bestimmtes Verhalten wehtut und mich verletzt.
Dass ich nur weiter Kontakt halten kann, wenn auf meine Situation Rücksicht genommen wird. Und das nicht weil ich denke, dass ich etwas besonderes oder gar die Prinzessin auf der Erbse bin. Nein, das ist Pacing in Reinkultur und Selbstschutz. Weil einfach zu viel auf dem Spiel steht: Jede Überanstrengung, und sei sie „nur“ emotional, kann mich unter Umständen in die Bettlägerigkeit katapultieren. Vielleicht nur Tage oder Wochen, vielleicht aber auch für immer.
Leider haben genau das einige Menschen aus meinem Lebensbereich nicht verstanden, waren eingeschnappt, haben mir alles Gute für die Zukunft gewünscht und/oder nichts mehr von sich hören lassen. Aber einige wenige liebe Menschen in meinem Umfeld haben sich intensiv mit der Krankheit ME/CFS auseinandergesetzt und verstehen mich jetzt viel besser.
Ich muss nur noch wenig erklären und mir wird beispielsweise bei Besuchen von sich aus ein Raum zum Ausruhen angeboten. Oder ich werde beim Klönen gefragt ob ich eine Pause brauche, weil ich müder aussehe als am Anfang des Gesprächs. Genau das sind die Menschen, die man in meiner Situation braucht. Von denen manchmal Überraschungen in Form von Blumen oder Grußkarten ins Haus geflattert kommen - einfach so, ohne besonderen Anlass. Nur damit ich weiß, dass sie an mich denken. Diese „Auslese“ war ganz sicher nicht einfach, tut mir aber auf lange Sicht gesehen definitiv richtig gut!
Wie ist das bei Euch? Habt Ihr auch Menschen aus dem Umfeld “verloren“? Wie geht es Euch damit?
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