Parteien und ME/CFS – ein Experiment

Kaum eine der Parteien, die zur Bundestagswahl antreten, setzt sich wirklich mit ME/CFS auseinander. Das zeigt die Analyse der Wahlprogramme sowie eine Mailkommunikation mit den nordhessischen Vertretern der großen Parteien.
Viele von uns Betroffenen sind nicht mehr in der Lage persönlich zur Wahl zu gehen. Daher könnte die Briefwahl eine Option sein, dennoch das eigene demokratische Recht in Anspruch zu nehmen. Rein organisatorisch ist es also eventuell machbar zu wählen. Praktisch stellt sich mir allerdings die Frage: Welche Partei soll ich wählen? Welche Partei setzt sich ganz konkret für mich in meiner jetzigen Situation mit ME/CFS ein?
Das hat mich motiviert, mir die Wahlprogramme der einzelnen Parteien einmal genauer anzusehen und zu schauen, ob ich etwas zu ME/CFS oder Long Covid finde. Nicht wirklich überraschend: Nur zwei der "großen" Parteien - die Grünen und die Linke - sowie die Partei Volt haben dazu etwas in ihren Wahlprogrammen stehen.
Das hat mir aber nicht gereicht. Deshalb habe ich in den letzten Wochen sukzessive die lokalen Vertreter aller großen Parteien und teilweise auch die Kandidaten auf Bundesebene angeschrieben und ihnen diese Frage gestellt: „Was wird sich an der katastrophalen Lage der ME/CFS-Betroffenen ändern, würde Ihre Partei regieren?“.
Da ich davon ausging, dass die meisten der Parteien keine Ahnung haben, dass ME/CFS überhaupt existiert, enthielt die Mail auch wichtige Fakten zu der Erkrankung und der derzeitigen Versorgungslage. Wollt Ihr mal raten, wieviel Antworten ich erhalten habe? Eine. Aber genau diese hat mich begeistert, weil mir Stefan Giebel von der Partei die Linke sehr ausführlich und konkret geantwortet hat:
Auf Bundesebene strebt seine Partei eine signifikante Erhöhung der Mittel für die Erforschung von ME/CFS und Long Covid an. Auch soll eine Aufklärungskampagne für diese Erkrankungen initiiert werden, um sowohl die Öffentlichkeit als auch medizinisches Personal zu informieren und Vorurteile abzubauen. Zudem ist der Aufbau spezialisierter Anlaufstellen und Ambulanzen und eine bessere soziale Absicherung von Betroffenen geplant.
Stefan Giebel möchte sich aber auch auf lokaler Ebene in Waldeck-Frankenberg für eine bessere Versorgungslage der ME/CFS-Betroffenen einsetzen: „Die Linke ist sich der Dringlichkeit bewusst und setzt sich auf allen Ebenen für eine Verbesserung der Situation von ME/CFS- und Long Covid-Betroffenen ein. Ganz wichtig ist mir der Aufbau von regionalen Versorgungszentren, für eine wohnortnahe medizinische Betreuung. Aber auch die Aufklärung von medizinischem Personal und der Öffentlichkeit, um das Bewusstsein für ME/CFS und Long Covid zu schärfen, muss vorangetrieben werden.“
Außerdem setzt er auf den Aufbau eines Netzwerks aus Ärzten, Therapeuten und Selbsthilfegruppen, um den Austausch von Wissen und Erfahrungen zu fördern und die Versorgung zu verbessern. Aber auch die Einrichtung von Beratungsstellen, die Betroffene bei sozialen und rechtlichen Fragen unterstützen und ihnen helfen, die richtigen Anlaufstellen zu finden, ist ihm ein Anliegen.
„Auch im Wahlkampf werde ich dieses Thema weiterhin aktiv ansprechen, sei es in persönlichen Gesprächen, in den Medien oder auf Veranstaltungen. Denn nur durch kontinuierliche Aufmerksamkeit können wir echte Veränderungen bewirken.“, sagt Stefan Giebel.
Man merkt sehr deutlich, dass das keine Phrasen aus dem Wahlprogramm sind, sondern dass sich da jemand wirklich mit der Thematik auseinandergesetzt hat. So etwas in der Art habe ich auch von den Grünen erwartet. Schließlich steht etwas zu Long Covid und ME/CFS in deren Wahlprogramm und ihre Vertreter äußern sich auch öffentlich zu diesen Themen. Fragt man dort allerdings direkt nach, bekommt man weder auf bundes- noch auf lokaler Ebene eine Antwort. Mich lässt das dann doch sehr an der Ernsthaftigkeit, mit der das Thema behandelt wird, zweifeln.
Es war ein Experiment, unsere Volksvertreter einmal nach einem ganz konkreten Thema zu fragen und im Detail wissen zu wollen, welche Maßnahmen geplant sind. Einem Thema, das eben nicht mit den üblichen Wahlparolen zu beantworten ist. Und so spiegelt das Experiment die Situation von uns Betroffenen sehr gut wider: Einige wenige setzen sich vehement und mit all ihrer Kraft für uns ein. Von den anderen werden wir auch weiterhin konsequent ignoriert.
Aber natürlich gibt es noch ganz viele andere Themen, an denen wir festmachen können, welche Wahl wir treffen. Themen die neben der Krankheit unsere anderen persönlichen Werte und Bedürfnisse betreffen. Wir können prüfen inwieweit die Programme und Ansichten der einzelnen Parteien mit diesen übereinstimmen. Und dann eine Entscheidung treffen, die für jeden einzelnen von uns in diesem Moment die richtige ist.
Zu guter Letzt noch ein wichtiger Hinweis: Dies ist keine Wahlwerbung, sondern meine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Bundestagswahl.
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