Nachgefragt #3: Warum ducken sich Ärzte weg, wenn es um ME/CFS geht?

Nachgefragt #3: Warum ducken sich Ärzte weg, wenn es um ME/CFS geht?

Geahnt habe ich als Betroffene der schweren Multisystemerkrankung ME/CFS es schon länger. Die harten Fakten jetzt schwarz auf weiß zu sehen, macht mich dennoch betroffen und wütend: Kaum jemand will für Patienten wie mich zuständig sein. Das ist das traurige Ergebnis meiner Recherche bei Haus- und Fachärzten, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Ärztekammer, dem hessischen und Bundes-Gesundheitsministerium und dem Gemeinsamen Bundesausschuss.

Es fing schon direkt nach unserem Umzug von Münster nach Diemelstadt an. Ich brauchte einen neuen Hausarzt. Dieser sollte mich idealerweise nicht nur als Primärversorger betreuen, sondern sich idealerweise - analog zu meinem Arzt in Münster – mit ME/CFS auskennen und meine Off-Label-Therapie weiterführen. Denn alle drei Monate 150 Kilometer nach Münster fahren, das macht mir inzwischen mehr und mehr zu schaffen. Doch alle Bemühungen in den letzten eineinhalb Jahren haben nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt. Nun habe ich meine Suche ausgedehnt und alle Hausarztpraxen im Umkreis von 30 Kilometern angeschrieben, die über eine Homepage und somit eine Kontaktmöglichkeit per Mail verfügten.

Immer wieder das gleiche Bild

In meiner Anfrage schilderte ich, dass es nahezu unmöglich geworden ist, einen Termin bei meinem bisherigen Hausarzt wahrzunehmen, ohne in eine über Tage, manchmal auch Wochen andauernde Post-Exertionelle-Malaise (PEM) zu geraten. Zudem wies ich deutlich darauf hin, dass hierdurch auch eine irreversible Verschlechterung eintreten kann und das Risiko für mich dadurch jedes Mal sehr hoch ist.

Ich bat darum, mir in meiner prekären Lage als neuer Hausarzt in Wohnortnähe zur Seite zu stehen. Für mich ein Ansprechpartner zu sein, der empathisch ist, mich ernst nimmt und bereit ist, die bestehenden Off-Label-Therapiemöglichkeiten bei mir weiterzuführen bzw. neue auszuprobieren. Der auch bereit ist, sich in die Multisystemerkrankung einzuarbeiten und auf meine besonderen Bedürfnisse einzugehen. Doch es bot sich immer wieder das gleiche Bild: Entweder kam gar keine Antwort, es herrschte Aufnahmestopp oder mir wurde freundlich nahegelegt mir einen anderen Hausarzt zu suchen, da man "fachlich und zeitlich nicht in der Lage sei, mich bezüglich der komplexen Anforderungen meines Krankheitsbildes, zu betreuen". 

Viel Schatten, wenig Licht

Rein wirtschaftlich betrachtet, kann ich das sogar verstehen, wenn man bedenkt, wie wenig die Ärzte für die Betreuung von ME/CFS-Patienten bekommen. Da helfen auch die im Rahmen der Long-Covid-Richtlinie eingeführten neuen Gebührenordnungspositionen nicht wirklich weiter. Denn selbst damit rechnet es sich wohl für die Mehrzahl der Ärzte nicht, sich in die Multisystemerkrankung einzuarbeiten und uns Patienten adäquat zu betreuen.  

Da konnte ich froh sein, dass mir wenigstens von einem Arzt die standardmäßige Primärversorgung (alles außer ME/CFS) angeboten wurde, die ich inzwischen auch wahrnehme. Mit ME/CFS kennt sich dieser Arzt allerdings nicht aus und hat auch keine Ambitionen, dies zu ändern. Zudem bekam ich von einer Ärztin einen Terminvorschlag. Zunächst war ich sehr skeptisch, weil auf die Nachfrage, ob sie sich denn wirklich mit ME/CFS auskennt, keine Rückmeldung mehr kam.

Dennoch entschied ich mich, den Termin wahrzunehmen. Die Ärztin war sehr empathisch, hat mich ernst genommen und ich musste ihr ME/CFS nicht erst erklären. Auch meine Off-Label-Therapie würde sie weiterführen. Allerdings stellte sich kurze Zeit später heraus, dass sie nicht bereit ist, neue Therapieoptionen zu recherchieren oder zu beginnen. Zudem musste ich feststellen, dass sowohl organisatorisch als auch menschlich meine besonderen Bedürfnisse im Zusammenhang mit ME/CFS nicht in dem Maß berücksichtigt wurden, wie ich es benötige.

Neurologen blenden ME/CFS aus

Auch die eigentlich laut ICD-Codierung für ME/CFS zuständigen Fachärzte halten sich vornehm zurück: Schaut man auf die Programme der jüngsten Neurologie-Kongresse, finden sich von Alzheimer über Depressionen bis zu Multipler Sklerose und Parkinson Vorträge zu allen gängigen neurologischen Erkrankungen. Nach ME/CFS sucht man aber leider vergeblich. Ob das auch an dem medial sehr präsenten Neurologen der Uniklinik Essen liegt? Dieser geht ja leider ständig mit seiner scheinbar unbelehrbaren Meinung hausieren, diese schwerwiegende neurologische Erkrankung sei in Wirklichkeit eingebildet oder psychosomatischer Natur. Kein Wunder: Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat in ihrer Stellungnahme vom 22.07.2025 deutlich gezeigt, dass sie auch im Jahr 2025 noch immer die Realität von ME/CFS ignoriert. (siehe auch Kommentar von Tanja vom 25.07.2025)

So war es nicht verwunderlich, dass meine Suche nach einem Neurologen, die ich auf 50 Kilometer Umkreis ausgeweitet habe, ergebnislos verlief: Man nehme keine Neupatienten auf und Off-Label-Therapien werden generell nicht durchgeführt. Eine Praxis teilte mir sogar mit, dass sie „eine solche Erkrankung“ nicht behandeln. Als hätte ich die Pest oder etwas Anstößiges, womit man bloß nicht in Verbindung gebracht werden will.

Will denn wirklich gar keiner zuständig sein?

Aber da sind ja noch die Post-Covid-Ambulanzen, die sich ja auch Patienten mit ME/CFS widmen sollen. Oder nicht?! Also habe ich auch den Pressesprechern der Post-Covid-Ambulanzen, die auf den Seiten des hessischen Ministeriums für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege aufgelistet sind, eine Anfrage geschickt. Ich wollte wissen, ob medikamentöse Off-Label Therapien begonnen bzw. bereits begonnene Therapien weitergeführt und ME/CFS-Patienten auch dann behandelt werden, wenn ME/CFS schon vor 2020 diagnostiziert wurde, also einen anderen Ursprung als Covid-19 hat. Auch hätte mich interessiert, ob es stimmt, dass dort nur Diagnosen gestellt, aber nicht behandelt wird. Und wieder bin ich vor Wände gelaufen, denn meine Fragen hat auch 7 Monate nach der Anfrage leider keine der Ambulanzen beantwortet.

Wo soll ich mich zwecks einer Behandlung denn nun hinwenden? Also fragte ich bei der kassenärztliche Vereinigung nach, ob sie mich bei der Suche unterstützen können. Aber auch die sehen sich nicht als zuständig, sondern verweisen auf ihre Internetseite zur Arztsuche. Das hatte ich allerdings schon vor meiner Anfrage versucht und mit den Stichworten ME/CFS und Long Covid im 50 km Umkreis keinen einzigen Treffer gelandet.

Ebenso hielt es die Ärztekammer, bei der ich nachgefragt habe, wann es verpflichtende Weiterbildungen zum Thema ME/CFS für Ärzte geben wird und warum sich Hausärzte weigern dürfen, Hausbesuche bei schwer von ME/CFS Betroffenen zu machen. Auch die Antwort auf die Frage, warum sich Hausärzte weigern dürfen ME/CFS-Patienten adäquat und ihrer schweren Erkrankung gerecht zu behandeln hätte mich sehr interessiert. Auf eine Antwort warte ich bis heute.

Totalverweigerung

Eines wird immer klarer: Kommt man mit dem Thema ME/CFS um die Ecke ducken sich irgendwie alle weg. Keiner will verantwortlich sein. Totalverweigerung. Da kam mir die Idee, einmal beim gemeinsamen Bundesausschuss nachzufragen, ob und wann es denn für ME/CFS ein Disease Management Programm (DMP) geben wird. Vielleicht wäre das ja ein Anreiz für die Ärzte, sich doch einmal mit dieser Erkrankung zu beschäftigen.

Die ernüchternde Antwort kam relativ schnell: „Der G-BA hat sich bislang nicht mit einem DMP für ME/CFS befasst, „da es seit dem letzten Jahr eine eigene Richtlinie gibt, die darauf abzielt, dass Patientinnen und Patienten mit dem Verdacht auf Long-COVID oder einer Erkrankung, die eine ähnliche Ursache oder Krankheitsausprägung hat, besser und schneller versorgt werden.“ Aber wo ist denn die bessere und schnellere Versorgung? Bei meinen Recherchen habe ich davon rein gar nichts bemerkt!

Keine neuen Erkenntnisse

Auch meine Nachfragen zu den Versorgungsstrukturen für ME/CFS-Betroffene bei der hessischen Gesundheitsministerin Diana Stolze und beim Bundesgesundheitsministerium waren vergeblich: Das Bundesgesundheitsministerium hat bis heute nicht geantwortet. Und die Antwort des hessischen Gesundheitsministeriums kam erst, als der Beitrag schon geschrieben war und brachte auch keine neuen Erkenntnisse: Bezüglich der Berücksichtigung von ME/CFS in einem Disease Management Programm wurde ich an den gemeinsamen Bundesausschuss (gBA) verwiesen. In Punkto verpflichtende Weiterbildungen zum Thema ME/CFS für Ärztinnen und Ärzte ist das Ministerium ebenfalls nicht zuständig, den diese obliegt der Ärztekammer.

Und in Bezug auf die schlechte hausärztliche Versorgungslage war der Rat des Ministeriums: „Eine Übersicht über die in Ihrer Nähe tätigen Hausärztinnen und Hausärzte erhalten Sie über den folgenden Internetaufruf: www.arztsuchehessen.de. Darüber hinaus haben Sie die Möglichkeit, sich – auch für den Fall, dass Sie auf Hindernisse stoßen - direkt an die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) zu wenden: www.kvhessen.de (Registerkarte: Für Patienten)“. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man direkt Lachen.

Ist das nicht unterlassene Hilfeleistung?

Für mich zeigt diese Recherche eines sehr deutlich: Die Zuständigkeit für ME/CFS-Patienten wird von einem zum anderen geschoben. Richtlinien werden aufgestellt aber in der Fläche wird sich geweigert diese auch umzusetzen. Zurück bleiben hunderttausende un(ter)versorgte, schwer kranke Menschen, die zum Teil in abgedunkelten Räumen unter extremen Schmerzen vor sich hinvegetieren oder sich, weil sie das Leid und die Ignoranz nicht mehr ertragen, das Leben nehmen. Da stellt sich mir schon die Frage, ob das nicht unterlassene Hilfeleistung ist?!

Von der Schwere der Erkrankung entsprechenden Versorgungsstrukturen will ich erst gar nicht reden: Es ist ja nur unter erheblichem Energieaufwand möglich überhaupt einen betreuenden Hausarzt zu finden. Wie soll man da eine Praxis finden, die in der Lage und noch dazu Willens ist, auf die besonderen Bedürfnisse von ME/CFS-Patienten einzugehen? Wie oft habe ich schon mit Kopfhörer, Sonnenbrille und Mundschutz mehr als 45 Minuten in einem hellen, lauten und überfüllten Wartezimmer auf meinen Arzttermin warten müssen? Wie oft wurde mir auf die Bitte mich in ein ruhiges Zimmer setzen zu dürfen oder mich dort auf eine Liege legen zu dürfen gesagt, dass das nicht machbar ist?

Ich wünsche mir sehr, dass das medical Gaslighting, die Ignoranz und das Zuständigkeitsgerangel endlich aufhören und ME/CFS-Patienten mit Respekt und der Schwere ihrer Krankheit entsprechend behandelt werden – von Ärzten, Organisationen, Gesellschaft und Politik!

Und bis dahin bin ich sehr froh und dankbar einen so empathischen, engagierten Arzt an meiner Seite zu haben. Auch wenn es jedes mal ein energieraubender Aufwand ist, einen Termin bei ihm wahrzunehmen. Aber besser richtig gut aber weit weg, als - wie so viele andere Betroffene - keine Versorgung zu haben.

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