Nachgefragt #1: Für ME/CFS-Patienten ungeeignet

Nachgefragt #1: Für ME/CFS-Patienten ungeeignet
Photo by Brett Jordan / Unsplash

Ich habe 10 Rehakliniken, die von ME/CFS-Betroffenen immer wieder empfohlen werden, angeschrieben und anhand eines Fragebogens nach den deren Kompetenzen bzw. Ausrichtungen für diese Erkrankung gefragt. Ergebnis: Die Kliniken, die geantwortet haben, erscheinen aus Sicht einer ME/CFS-Betroffenen hierfür ungeeignet. Und das obwohl mehr als die Hälfte davon mit dem Label „Post-Covid-Reha“ wirbt.

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ME/CFS-Betroffene wünschen sich nichts sehnlicher, als gesund zu werden oder zumindest eine Besserung zu erfahren. Viele erwägen daher eine Rehabilitationsmaßnahme und recherchieren intensiv nach passenden Einrichtungen. Reha-Kliniken, die mit dem Label „Post-Covid-Reha“ werben, wirken hier natürlich besonders attraktiv, da Betroffene – gezwungenermaßen - meist ein hohes Maß an Kompetenz über ihre Erkrankung haben und davon ausgehen, dass diese Kliniken ebenfalls kompetent in diesem Umfeld sind.

Orientierung an Label

Dass es zu diesem positiven Eindruck kommt, hat vor allem mit der landläufigen Bewertung von ME/CFS zu tun. Wenn man die Krankheit tatsächlich als „die schlimmste Ausprägung von Long- bzw. Post-Covid“ versteht, so kann man zu Recht erwarten, dass in Post-Covid-Rehas auch ein höheres Maß an Verständnis für diese neuroimmunologische Multisystem-Erkrankung herrscht. Dies erwarten auch die Betroffenen, die von Seiten der Rentenversicherung im Rahmen des Grundsatzes „Reha vor Rente“ oder ihren Krankenkassen zu einer Rehabilitationsmaßnahme genötigt werden. Auch sie orientieren sich bei ihrer Suche nach einer geeigneten Klink nicht selten an diesen Labeln oder greifen auf Empfehlungen in Selbsthilfegruppen zurück. Auch wenn man bei der Kliniksuche ME/CFS angibt, werden zumeist Klinken mit diesem Label aufgelistet.

Wichtige Anforderungen werden nicht erfüllt

Doch sind diese Kliniken wirklich ME/CFS-kompetent und verbessert eben jenes Label die Betreuung? Diese beiden Fragen habe ich Anfang des Jahres zum Anlass genommen, um bei 10 Kliniken genauer nachzuhaken. Mein Vorgehen sah dabei so aus: Die Kliniken, die in Selbsthilfegruppen - teils durch eigene Erfahrungen - besonders häufig als „geeignet für ME/CFS-Betroffene“ benannt werden, habe ich gezielt kontaktiert. In meiner Mail ging es vor allem darum zu klären, inwieweit sie standardmäßig und nicht nur in Einzelfällen auf die besonderen Bedingungen eingehen können und welche besonderen Reha-Konzepte sie für Betroffene bereithalten.

Erschreckendes Ergebnis

Das Ergebnis der Umfrage war und ist aus meiner Sicht erschreckend: Von den zehn Kliniken, denen ich meinen speziell ausgerichteten Fragenbogen (alle Hintergrundinformationen findet Ihr am Ende des Beitrags) zuschickte, antworteten grundsätzlich nur acht. Von diesen acht schrieben wiederum sechs bereits von sich aus, dass sie sich mit ME/CFS nicht auskennen, nicht darauf spezialisiert sind oder die genannten Wünsche nicht erfüllen können. Was dabei besonders erschreckte: Fünf davon werben gezielt mit dem Label „Post-Covid-Reha“.

Was mich bei der Auswertung der zurückgesendeten Mails zudem verwunderte, war die Widersprüchlichkeit. Auf der einen Seite priesen mehrere Kliniken ihre große Expertise auf dem Gebiet von ME/CFS an, auf der anderen Seite gaben die Antwortgeber im selben Schreiben offen die Defizite und Lücken zu.

Exemplarisch hierfür ist die Antwortmail einer Klinik, in der zu lesen ist: „Wir verfügen grundsätzlich über ein von der Deutschen Rentenversicherung anerkanntes Behandlungskonzept für Patienten mit Post Covid, welches auch bei der Behandlung von Patienten mit ME/CFS zur Anwendung kommt – und von den Patienten sehr geschätzt wird.“ Wenig später heißt es dann aber im Text: „Viele der von Ihnen genannten Punkte können wir grundsätzlich nicht erfüllen – wir bitten um Verständnis, dass wir auf die einzelnen Punkte nicht vertieft eingehen können“.

In einer anderen Antwort-Mail ist vergleichbar zu lesen: „In der Tat ist es so, dass sich die Rehaklinik XXX durch eine besondere Expertise in Zusammenhang mit der von Ihnen erwähnten Erkrankung auszeichnet, u. a. durch die fachliche Kompetenz unserer leitenden Ärzte (u. a. Schmerztherapie, Umweltmedizin, Naturheilverfahren …) sowie das Angebot diverser naturheilkundlicher Behandlungsmethoden. Insbesondere profitieren unsere Patienten und Gäste enorm von der Möglichkeit der Bewegungstherapie in unserer stark mineral- und kohlensäurehaltigen hauseigenen Therme, die ihnen täglich bis 21 Uhr und auch am Wochenende zur Verfügung steht“.

Anschließend heißt es dann aber auch hier: „Angesichts der von Ihnen geschilderten Symptomatik und der damit verbundenen Forderungen sehe ich mich jedoch außerstande, Ihnen eine vernünftige, zielgerichtete stationäre Rehabilitationsbehandlung zu Ihrem Wohl anbieten zu können.“

Keine speziellen Angebote für Belastungsintoleranz

Schaut man detailliert auf die sichtbaren Defizite aus Sicht eines ME/CFS-Erkrankten, so zeigen sich diese vor allem im Hinblick auf die Belastungsintoleranz. Gab es konkrete Antworten auf Einzelfragen, so zeigen diese besonders hier markante Herausforderungen:

Während eine Verdunkelung im Zimmer noch vorhanden ist, fehlt es fast überall an Reduzierung von Reizen wie Geräuschen und Helligkeit. Auch können aufgrund der standardisierten Prozesse weder Mahlzeiten auf dem Zimmer noch die Aufnahmeuntersuchung erst am Folgetag der Anreise angeboten werden. Gleiches gilt für den Transfer mit dem Rollstuhl von Zimmer zu Speisesaal oder zu Therapien. Auch die Frage nach einem Therapiebeginn nicht vor 10 Uhr statt um 7 Uhr, flexiblen Frühstückszeiten oder Ruhetagen (außer Samstag und Sonntag) wurde teils sehr kategorisch mit „bei uns nicht üblich“ verneint. Manche Klinken haben mir in ihrem Antwortschreiben auch deutlich gemacht, dass ich - wenn ich diese besonderen Bedingungen benötige – gar nicht rehafähig bin. Andere empfahlen mir sogar eine Akutklinik aufzusuchen.

Ernüchterndes Fazit

Auf meine Frage nach speziellen Therapieformen wie zum Beispiel Pacing oder Coping ist keine der angefragten Kliniken eingegangen. Ob es daran lag, dass sie kein solches Konzept haben oder es ihnen schlichtweg zu viel Arbeit war, darauf einzugehen, kann ich nicht beurteilen.

Mein ernüchterndes Fazit aus dieser Recherche lautet somit: Trotz des großen Bedarfes ist es offensichtlich immer noch schwierig, Kliniken zu finden, die auf die außerhalb der üblichen Rehas liegenden Bedürfnisse von ME/CFS-Betroffenen eingehen können oder wollen. Und das, trotzdem man immer wieder hört, dass Betroffene die Rehabilitationsmaßnahme in deutlich schlechterem Zustand, teils sogar bettlägerig, verlassen. Eines scheint allerdings inzwischen gelungen zu sein: Alle Kliniken, die geantwortet haben, kannten ME/CFS. Noch vor einigen Jahren war dies bei einer ähnlichen Recherche von Uta, die mir ihr Material zur Verfügung gestellt hat, noch anders: Damals wurde ME/CFS noch als "Fatigue-Erkrankung wie sie z.B. auch bei MS vorkommt" oder Erschöpfungssyndrom im Sinne eines Burnouts eingestuft.

Reha erst mit höherem Bell-Score

Für mich kommt eine Reha erst in Frage, wenn mein Leistungsniveau mindestens Bell 50-60 erreicht hat. Zudem müsste ich über längere Zeit – eine Reha geht schließlich über mehrere Wochen - ohne Probleme 3 Mahlzeiten am Tag auswärts einnehmen und zusätzlich jeden Tag mindestens 1 Arzttermin, 1 Physio-Termin, 1 Ergo-Termin, 30 Minuten Schwimmen gehen und einen Präsenz-Termin bei der Selbsthilfegruppe bewältigen können, ohne einen Crash zu riskieren. Diese Entscheidung stützt auch die „Leitlinie Reha und Covid“ von 2023: „Liegen starke Einschränkungen der Alltagsfunktion vor, wird oftmals für Rehabilitationsmaßnahmen keine ausreichende Belastbarkeit bestehen“, heißt es darin. Das könne unter anderem bei einer Reduzierung des funktionellen Zustandes auf 50 Prozent angenommen werden.

Es gibt Hoffnung

Doch es gibt auch Hoffnung. Diese ist mit der Studie „CFS_CARE – Versorgungskonzept für Patienten mit Chronischem Fatigue Syndrom/Myalgischer Enzephalomyelitis (CFS/ME)“ verbunden. Unter der Leitung von Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen an der Charité Berlin etabliert, wurde in der Bavaria Klinik in Kreischa im Rahmen der Studie von April 2022 bis Dezember 2024 ein spezielles Reha Konzept angeboten und ausprobiert. Derzeit läuft die Auswertung der Studie und es bleibt zu hoffen, dass in naher Zukunft auch ein Eckpunktepapier für ME/CFS bei der Deutschen Rentenversicherung existiert, das die speziellen Anforderungen und Bedürfnisse der Betroffenen adressiert.

Schon im Vorfeld Erkundigungen einziehen

Und noch etwas ist deutlich geworden: Plant man eine Reha-Maßnahme oder wird dazu aufgefordert, sollte man sich im Vorfeld in der ausgesuchten Klinik genauestens danach erkundigen, ob diese auf die individuellen Bedürfnisse eingehen kann (Mein Brief an die Rehakliniken, den Ihr in den Hintergrundinformationen und im Downloadbereich findet, darf gerne 1:1 dafür genutzt werden). Die Klinik hat dann die Möglichkeit eine Aufnahme zu prüfen oder sie bestätigt aufgrund einer solchen Anfrage die Reha-Unfähigkeit. Diese kann man dann der Rentenversicherung oder der Krankenkasse vorlegen. Alternativ könnte man sich vom behandelnden Arzt auch von vorneherein eine Wege- und Reha-Unfähigkeit bescheinigen lassen.

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