Konventionen vs Selbstfürsorge

Konventionen vs Selbstfürsorge
Bild von Daniel Wanke auf Pixabay

Vor einigen Wochen erreichte mich eine traurige Nachricht: Mein Ex-Schwiegervater ist verstorben. Das hat mich nicht nur emotional getroffen. Auch fochten Konvention und Selbstfürsorge so manchen Kampf miteinander aus: Ich fühlte mich meinem Sohn und meinem Ex-Mann irgendwie verpflichtet, an der Beerdigung teilzunehmen. Es kamen Gedanken, wie „Was sollen die Leute sagen?“ oder „Das gehört sich doch“, aber auch "Wäre schön, hinzugehen". Vor mehr als zwanzig Jahren mochten wir uns ja und haben uns sehr gut verstanden. In den letzten Jahren habe ich ihn allerdings nur noch 2-mal gesehen und sonst gab es keinerlei Kontakt. Nicht weil wir uns böse waren, es hat sich einfach nicht ergeben.

Nachdem der Termin für die Beerdigung definiert war, standen aber zunächst nur die Konventionen im Vordergrund: Da war sie wieder die alte Tanja, die erst nach den Befindlichkeiten der anderen schaut und sich selbst und ihre Bedürfnisse gar nicht wahrnimmt. Irgendwie erschreckend! Nicht ein einziges Mal ging mir ganz selbstverständlich durch den Kopf: Ich kann nicht zur Beerdigung gehen, ich bin krank und das kostet mich zu viel Energie! Aber warum? Ich bekomme das mit dem Pacing und dem Selbstschutz inzwischen doch ganz gut hin?! Wenn allerdings Konventionen ins Spiel kommen, vergesse ich immer noch die Selbstfürsorge und bin wie früher angepasst.

Mitten in diesen Überlegungen drang es noch zu mir durch: Ich bin die wichtigste Person in meinem Leben! Deshalb beschloss ich, das Ganze analytisch anzugehen: Zunächst die Überlegung, was die Teilnahme an der Beerdigung ganz praktisch für mich bedeuten würde: Erst die 45-minütige Anfahrt zum Friedwald, dann mit dem Rollator durch den Wald gehoppelt, damit ich zwischendurch sitzen kann. Hoffentlich spielt das Wetter mit! Hinzu kommen die belastenden Emotionen, die Gespräche mit Verwandten, die ich jahrelang nicht gesehen habe. Nicht zu unterschätzen auch der Weg von der Grabstelle zurück zum Parkplatz und wieder 45 Minuten nach Hause, denn an der Trauerfeier teilzunehmen ist utopisch. Soweit die Theorie. Was wirklich passiert, kann man ja vorher gar nicht abschätzen.

Ich tat das, was ich mir für solche Fälle angewöhnt habe: In mich hineinspüren, die Situation Durchdenken und sehen, was das mit meinem Körper macht: Bleibt er locker oder habe ich das Gefühl, ich bekomme keine Luft mehr. Wobei letzteres bei mir ein eindeutiges Zeichen dafür ist, dass es den Körper überlasten würde. Und genau das passierte auch, als ich mir die Beerdigung vorstellte, und somit war die Entscheidung gefallen. Am Tag der Beerdigung habe ich dann in Gedanken Abschied genommen und eine Kerze angezündet.   

Wie ist das bei Euch? Stehen für Euch Konventionen oder Selbstfürsorge im Vordergrund?

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