Die Angehörigen leiden mit

Die Angehörigen leiden mit
Photo by National Cancer Institute / Unsplash

Die Krankheit mit all ihren Symptomen zu ertragen ist an sich schon eine riesige Herausforderung. Zu sehen, dass meine Krankheit auch das Leben meiner Familie teils massiv beeinträchtigt, ist an manchen Tagen unerträglich.

Nicht nur dass mein Mann viele meiner Aufgaben (z.B. Einkaufen) übernehmen muss, mich zu Ärzten und Therapien fährt (wegen den kognitiven Einschränkungen fahre ich nur noch selten und sehr kurze Strecken), mit unserem Hund rausgeht (ich schaffe es nur einmal am Tag 500m und manchmal auch gar nicht). Es ist zudem der Verzicht auf gemeinsame Aktivitäten wie Kino, Konzerte, Reisen und spontane Ausflüge. Natürlich macht er auch mal alleine eine Urlaubsreise, aber das gemeinsame Erleben bleibt natürlich gänzlich auf der Strecke.

Für mich ist es an manchen Tagen sehr schwer zu sehen, wie kräftezehrend es für ihn ist und das Gefühl zu haben ich bin daran Schuld. Natürlich weiß ich, dass ich keine Schuld daran trage, schließlich habe ich mir ME/CFS ganz bestimmt nicht ausgesucht. Trotzdem denke ich immer wieder, ohne mich könnte er sein Leben wieder genießen – wohlwissend, dass genau solche Gedanken kontraproduktiv sind. Und dass mein Mann so nicht denkt.

Immer im Hinterkopf zu haben, dass jede Überlastung, jedes Verlassen der Pacing-Baseline zu einer dauerhaften Verschlechterung, womöglich zur Bettlägerigkeit führen kann, macht für uns beide jede Aktivität zur Gratwanderung - Und meinen Mann an manchen Tagen zum ungewollten Spielverderber, wenn wir mit Freunden zusammensitzen, ich es genieße und nicht merke, dass es eigentlich schon zu viel ist. Für mich ist dann das Gefühl wenigstens ein bisschen am Leben teilzuhaben präsent. Er quält sich mit dem Gedanken: "Gönn ihr das bisschen Lebensqualität ohne an das danach zu denken. Oder soll ich doch der Spielverderber sein und sie frühzeitig daran erinnern, die Aktivität vor Symptombeginn abzubrechen?".

Ich weiß: Wirklich genießen kann er damit eigentlich keine gemeinsame Zeit. Und wenn er nichts sagt und ich nachher wieder mit Schmerzen im Bett liege und keine Geräusche ertragen kann, habe ich ihm ja indirekt auch geschadet. Schließlich muss er dann mein Leid ertragen und auch die Kleinigkeiten, die ich an guten Tagen machen kann, auch noch mit übernehmen. Und dann noch darauf achten bloß nicht zu laut zu sein.

Ich versuche immer einen Spagat aus Pacing und „etwas für die Seele tun“ hinzubekommen um nicht zu tief in eine Depression zu rutschen. Denn gefühlt besteht mein Leben fast nur noch aus Verzicht. Spontanität, Teilnahme an Geburtstagsfeiern oder Hochzeiten, Essen gehen, Urlausreisen, Schwimmbad, Sauna, Konzerte, Kino, Sex, Beruf, lange Shoppingbummel, ausgedehnte Spaziergänge mit und ohne Hund, viele Freunde auf einmal treffen, ein Buch lesen, die Enkel sehen und mit ihnen spielen und so viele andere Dinge – alles nicht mehr oder nur extrem eingeschränkt möglich. Natürlich ist es super, dass man mit konsequentem Pacing die Symptome eindämmt. Aber es macht verdammt einsam. Und um das auszuhalten ist schon manche Träne geflossen, aber ich weiß, dass es sich lohnt dranzubleiben. Für mich und meine Lieben.

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