Wieviel Kraft bleibt für Gespräche?

Wieviel Kraft bleibt für Gespräche?
Foto: Rönsch

Es ist zwar lange her, aber ich kann mich noch erinnern, wie es war, wenn wir abends von der Arbeit nach Hause gekommen sind, gemeinsam Abendessen vorbereitet und beim Essen und einem Glas Wein von unserem Tag erzählt haben. Jeder von uns hatte zig Eindrücke und Begegnungen - gute wie schlechte -, Erfolge und Fehler, die gemacht wurden, Dinge die uns zum Lachen gebracht oder wütend gemacht haben und und und. Da gingen sehr oft Stunden zum Erzählen drauf. Danach fühlte sich jeder gesehen, verstanden und „erleichtert“ von der Last der Eindrücke.

Heute sieht das deutlich anders aus: Krankeitsbedingt bin ich den ganzen Tag zu Hause und pace so gut es nur geht. Einziges Highlight am Tag: Die 15minütige Gassirunde im Schneckentempo mit unserer Fellnase Oskar. Dann treffe ich ab und zu vielleicht Nachbarn oder Freunde im Dorf und unterhalte mich je nach Tagesform noch ein paar Minuten. Der Rest des Tages ist meistens sehr ruhig und ich mache meine „stillen Pausen“, schreibe alle paar Tage einen Post für den Blog, koche oder telefoniere ein paar Minuten mit einer Freundin oder meiner Tante. 

Aber es passieren trotzdem immer auch Dinge, die mich emotional belasten oder berühren. Wenn ich mich beispielsweise gedanklich mit Behördenkram auseinandersetzen muss, ein Brief in der Post ist, der aufwühlt oder wenn ich einen Post veröffentlicht habe und ganz berührt von den aufbauenden Kommentaren bin.

Im Gegensatz dazu passieren bei meinem Mann natürlich 1000 Dinge am Tag. Allein durch seine Selbständigkeit in verschiedenen Geschäftsfeldern, seine ehrenamtlichen Tätigkeiten und was familiär noch so passiert, stapeln sich Tag für Tag die Dinge, über die er sich mit mir austauschen möchte. Und da ich vor 20 Jahren noch in seiner Firma mitgearbeitet habe und wir uns all die Jahre immer wieder ausgetauscht haben, kenne ich mich natürlich aus in seiner Themenwelt. Was auf der einen Seite gut ist, weil er nicht so viel erklären muss. Auf der anderen Seite verstärkt es aber auch den Drang nach Austausch, wenn das Gegenüber genau weiß, worum es geht und man das Gefühl hat, verstanden zu werden.


Was unsere Gespräche heute so schwierig macht, ist neben der massiv eingeschränkten zeitlichen Komponente auch die Berücksichtigung der Emotionen. Zeitlich müssen wir darauf achten, dass das Gespräch möglichst nicht mehr als 20 Minuten am Stück dauert und dass wir keine Gespräche mehr kurz vorm Schlafengehen – was bei mir im Moment spätestens 20:30 Uhr ist – führen. Zusätzlich müssen wir die Worte - je nachdem wie es mir geht – mehr oder weniger streng „auf die Goldwaage“ legen, damit die Emotionen nicht zu tief gehen. Denn gerade Emotionen kosten mich teilweise sehr viel Energie.

Eine „normale“ Unterhaltung ist damit schon fast gar nicht mehr möglich. Erzählt mein Mann von dem, was ihm heute auf dem Herzen liegt, sind die 20 Minuten extrem schnell vorbei. Ich gähne schon mehrmals als erstes Anzeichen der kognitiven Überlastung und weiß, jetzt muss ich ihm gleich sagen, es geht nicht mehr. Was sich richtig doof anfühlt. Auch wenn wir nach einer längeren Pause das Gespräch wieder aufnehmen, ist es doch irgendwie komisch. Und wie bei den Telefonaten, wo ich mitten im Leben der anderen bin, würde ich ja auch noch gerne etwas von meinem Tag erzählen, von dem, was mir auf der Seele liegt.

Aber dazu reichen oftmals weder die Zeit noch meine Energie. Und so haben wir irgendwie beide das Gefühl, wohin mit dem, was noch nicht ausgesprochen ist? Das Gefühl die Zeit (oder die Energie) reicht nie aus, für das was da noch raus möchte. Da ist dann noch so viel und eigentlich kommt jeden Tag mehr dazu, was keinen Raum gefunden hat besprochen zu werden.

Aber auch wenn ich von dem erzähle, was bei mir so los ist, merke ich immer öfter, wie sehr mich das Reden in letzter Zeit anstrengt. Erst merke ich ein bisschen „Watte im Kopf“ und dann fangen Wortfindungsstörungen an. Wenn es ganz arg wird, bekomme ich kaum noch ein „gerades“ Wort raus. Vor allem, wenn Emotionen im Spiel sind. Also habe ich mir jetzt angewöhnt, möglichst wenig zu reden, um Energie zu sparen und schreibe mir vieles von dem, was ich gerne noch gesagt hätte, hier im Blog von der Seele.

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