Wenn Nachrichten Wut auslösen
Wie bei allen anderen Betroffenen und Angehörigen gibt es auch bei mir Tage, an denen ich Nachrichten rund um die Krankheit ME/CFS sehr schlecht wegstecke. Dies passiert vor allem, wenn es um die öffentliche Aufmerksamkeit für die Betroffenen geht und um die Ignoranz von Politik. Wie von selbst steigt dann in mir der Adrenalinpegel und ich muss aussprechen, was ich fühle und denke. Gestern war wieder solch ein Moment. Warum?
Am 25. 09. 2024 veranstaltete der Verein ME-Hilfe “Volksvertreter*innen for M.E.”, eine Lesung bzw. Gesprächsrunde, bei der die Entscheidenden im Bundestag anhand eines konkreten Beispiels über die Probleme von Menschen mit ME/CFS sowie über mögliche Lösungsschritte informiert werden sollten.
Acht Politiker, habe ich jetzt in einem Artikel gelesen, waren anwesend, als Birte Viermann die Leidensgeschichte der eigenen Schwester beschrieb und Verbesserungen für Betroffene forderte.
Acht Politiker – das heißt: gerade einmal etwas mehr als ein Prozent aller Abgeordneten im Bundestag wollte sich mit der Thematik auseinandersetzen. So sehr ich mich herzlich und ausdrücklich bei den wenigen Anwesenden bedanke, so sehr frustriert bin ich über die Nicht-Anwesenden.
Politiker – das zeigt die Resonanz - steht vor allem für Theorie, Elfenbeinturm und Angst vor echten Themen aus dem Leben. Im Angesicht von realer Not fällt es offensichtlich schwer, Farbe zu bekennen und für echte Ziele einzustehen. Lieber zeige ich mich nicht und argumentiere mit Terminen oder ähnlichem.
Zwei Parteien haben sich dabei besonders hervorgetan, was die Ignoranz angeht: nämlich die AFD und das BSW. Wo waren denn die flinken, harten und gestählten Männer, denen die Gesundheit der Deutschen so am Herzen liegt. Wo waren denn die Politiker/innen, die sich so sehr um die sozial Benachteiligten bemühen wollen. Die Not der ME/CFS-Betroffenen scheint aus ihrer Sicht wohl nicht dazu zu gehören.
Was mich frustriert, ist die bewusste subjektive Verschiebung von gesellschaftlicher Relevanz. Für die 120.000 VW-Mitarbeiter, die theoretisch und potenziell von Job-Abbau bedroht sind, gibt es Mitleidsbekundungen, proaktive Aktionspläne und riesengroßen persönlichen Einsatz. Rufen die mindestens 600.000 realen ME/CFS- Betroffenen nach mehr Forschung, nehmen sich die Volksvertreter noch nicht einmal Zeit für eine Informationsveranstaltung. Und das, als mit jeder Corona-Welle die Zahl der Betroffenen weiter zunimmt.
Von Politikern erwarte ich ein anderes Verständnis Ihres Jobs. Wenn man sich auch nicht aktiv für ME/CFS einsetzen kann oder möchte, so sollte man doch zumindest die Realität bewerten können und verstehen, dass die fehlende Beschäftigung mit dem Thema ME/CFS massive wirtschaftliche, soziale und arbeitsmarktpolitische Brisanz hat. In ein paar Jahren sind 120 000 potenziell gefährdete Arbeitsplätze womöglich ein Klacks gegenüber dem, was sich mit ME/CFS verbindet.
Niemand darf dann sagen: Ich habe das alles nicht gewusst.
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