Wenn der Körper SOS funkt

Wenn der Körper SOS funkt
Photo by nikko macaspac / Unsplash - SOS bei ME/CFS

Jedes Mal aufs neue nehme ich mir vor: Wenn du heute telefonierst oder wenn der Besuch kommt, achtest Du gut auf Dich. Du stellst den Wecker - je nachdem wie es Dir geht - auf 20 bis 60 Minuten und sagst gleich zu Anfang, dass Du sobald der Wecker klingelt das Telefonat bzw. den Besuch beenden musst. Klingt erstmal logisch und einfach – ist es aber, zumindest bei mir, nur in der Theorie.

In der Praxis läuft es bei mir eher so: Der Wecker ist – leider nicht immer - gestellt und statt genau das sofort zu sagen, frage ich meistens zuerst, wie es meinem Gegenüber geht. Meine Gedanken drehen sich ja sowieso den ganzen Tag irgendwie um meine ME/CFS-Erkrankung. Und: Pacing heißt ja auch, ständig in sich hineinzuhorchen und Aktivitäten bestenfalls abzubrechen bevor man Symptome bekommt. Zudem möchte ich ja nicht ständig den anderen mit meiner Krankheit auf die Nerven gehen. Und ehe ich mich versehe, bin ich mitten im Leben eines anderen Menschen, höre von Alltag, Urlauben, Kindern, Nachbarn und dessen Krankheiten und Befindlichkeiten und so weiter.

Das tut eine gewisse Zeit schon auch gut, weil es ablenkt und ich meine Stimme schone. Sprechen strengt mich nämlich ziemlich an, denn schließlich sind zum Sprechen ja auch einige Muskeln nötig 😉. Die festgelegte Zeit ist immer sehr schnell um und wenn der Wecker klingelt, habe ich meistens nur zugehört und kommentiert, aber wenig bis gar nichts von mir erzählt.

Und dann kommt für mich eine gewaltige Zwickmühle: Einerseits würde ich mir genau da wünschen, dass das Klingeln des Weckers auch von dem Menschen am anderen Ende der Leitung oder dem Besuch wahrgenommen wird. Dass es von sich aus zum Anlass genommen wird, das Gespräch oder den Besuch zu beenden. Für mich ist es nämlich jedes Mal eine richtige Überwindung, die Gesprächspartner regelrecht abzuwürgen. Und das zumeist mitten in einer Erzählung. Zu diesem Zeitpunkt macht aber mein Körper einfach nicht mehr mit und funkt - zum Beispiel mit Wortfindungsstörungen - sehr deutlich SOS.

Auch wenn es letztlich immer in meiner Verantwortung liegt: Ich möchte ja nicht unhöflich sein und interessiere mich ja auch für das, was mir erzählt wird. Aber immer den Spielverderber oder Rausschmeißer zu geben ist auch nicht schön! Und so finde ich den Absprung meistens erst zu spät, ärgere mich über mich selber und scheue dann natürlich den nächsten Besuch oder das nächste Telefonat.

Andererseits möchte ich natürlich auch wahrgenommen werden, gefragt werden, wie es mir geht. Ein bisschen aus meinem Alltag erzählen. Aber wenn ich das nach dem Weckerklingeln tue, bedeutet das leider meist schon über die Grenze zu gehen. Und wenn ich dann noch ehrlich und offen über meine Ängste und Sorgen spreche, komme ich ganz schnell zudem in eine ziemliche emotionale Belastung: Bei einem gesunden Menschen wäre das in etwa vergleichbar mit der Belastung eines dreistündigen Ehestreits. Was bedeuten kann, dass ich den Rest des Tages pacend mit Kopfhörer und Schlafmaske verbringe, um mein überreiztes Nervensystem wieder einigermaßen zu beruhigen. Also erzähle ich wenn dann meist nur oberflächlich und fühle mich im Innersten richtig einsam.

An manchen Tagen hat Pacing – so wichtig es zweifellos ist! – für mich auch etwas von Selbstkasteiung. Trotzdem und so schwer es auch fällt, gilt für uns Betroffene wohl immer noch der alte Spruch: Aufhören, wenn’s am schönsten ist. Weil es vernünftiger ist 😏 - denn die Folgen trägt niemand für uns. Im Gegenteil: In gewisser Weise müssen die Angehörigen ja unsere Unvernunft sogar mittragen.

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