Wenn eine Fachgesellschaft 2025 noch immer die Realität von ME/CFS ignoriert

Ein Kommentar von Tanja
Am 22. Juli 2025 hat die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) eine Stellungnahme zum aktuellen Forschungsstand zu ME/CFS veröffentlicht – und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich zuerst fassungslos, wütend oder müde sein soll. Müde davon, immer wieder gegen dieselben längst widerlegten Narrative anreden zu müssen. Fassungslos, weil eine so große Fachgesellschaft sich offenbar nicht scheut, jahrzehntealte Denkmuster zu wiederholen. Und wütend weil ihre Worte reale Konsequenzen für uns Betroffene haben.
„Keine validen Biomarker und evidenzbasierten Therapien“
Die DGN erklärt: „…wir kennen weder die genauen Pathomechanismen … noch gibt es valide Biomarker oder evidenzbasierte Therapien“. Das ist nicht nur ungenau – es ist schlicht falsch. Wir stehen im Jahr 2025. Zahlreiche aktuelle Studien zeigen längst:
- Autoantikörper gegen β₂-Adrenozeptoren bei Patient:innen
- objektive Unterschiede in Aktivitätsmustern durch Wearables
- neue Therapieversuche mit Immunmodulatoren und Wirkstoffen wie BC 007
- reproduzierbare Muster in Schlafdynamik, Mikrobiom und Immunprofil
Will die DGN all das wirklich ignorieren?
“Immunologische Faktoren spielen eher keine Rolle”
Das sagen sie wirklich. Im Jahr 2025. Während weltweit Teams von Wissenschaftler:innen genau diese immunologischen Prozesse entschlüsseln – Antikörperprofile, Zytokinmuster, Entzündungskaskaden. Trotzdem inzwischen hunderte nationaler und internationaler Studien immunologische Veränderungen belegen. Es zählt Wissenschaft und nicht Wunschdenken. Dass die DGN das komplett ausblendet, ist in meinen Augen medizinisch unverantwortlich.
„Von nicht zugelassenen Therapien wird abgeraten“
Trotzdem warnt sie vor Off-Label- und experimentellen Therapien: „… zum Schutz der Patientinnen und Patienten…“. Ja, natürlich ist Vorsicht wichtig. Trotzdem hört sich das für mich eher an wie „Bitte nicht helfen, bevor wir es abgesegnet haben“. Nur: Was, wenn die, die absegnen, gar nicht hinschauen, sondern Wunschdenken vor Wissenschaft stellen? Was, wenn sie uns, unsere Krankheitslast und unseren Körper gar nicht ernst nehmen? Was, wenn sie lieber alles in Frage stellen, als zu sagen: „Ja, es gibt Hoffnung. Und wir unterstützen euch dabei.“
Warum mich das so wütend macht
Die DGN beeinflusst Ausbildung, Richtlinien, ärztliche Praxis – und wiederholt dabei veraltete Narrative. Sie ignoriert Forschung, statt sie zu würdigen. Mit gravierenden Folgen für uns Betroffene: Wenn auf dem Diagnostik‑ oder Therapiepfad kein Durchbruch gelingt, bleiben Versorgungslücken bestehen, Chancen auf Besserung schwinden und die Suizidgefahr steigt.
Es darf nicht unterschätzt werden, dass solche Stellungnahmen Macht haben: Sie werden zitiert von Ärzt:innen, Krankenkassen, Gutachter:innen. Und sie können uns Betroffenen – die ohnehin täglich mit einem unsichtbaren Käfig leben – ein weiteres Stück Würde und medizinische Glaubwürdigkeit rauben.
Mein Appell an die Vernunft – und an die Menschlichkeit
Deshalb bin ich es leid, ruhig zu bleiben, wenn Fachgesellschaften mit in meinen Augen zweifelhaften Aussagen medizinische Stagnation legitimieren. Ich bin es leid, dass man uns immer noch sagt, wir müssten „positiver denken“ oder „uns langsam wieder steigern“. Das hat mir meine Krankheit nicht genommen – sondern verschlimmert.
Die Erfahrungen der Betroffenen sind real. Die Forschung bestätigt sie zunehmend. Und wir werden nicht länger zulassen, dass veraltete Denkweisen unser Leben bestimmen.
Deshalb fordere ich die DGN auf:
Die aktuelle Forschung zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn sie das eigene Weltbild infrage stellt.
Die Stimme der Patient:innen ernst zu nehmen – nicht als störendes Beiwerk, sondern als zentrales Element medizinischer Ethik.
Und endlich zu erkennen, dass es bei ME/CFS nicht um „Meinungen“, sondern um Menschen geht.
Wir sind viele. Wir sind informiert. Und wir werden lauter.
Auch die großen Patienten-Organisationen haben reagiert:


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