Ignoranz in weißen Kitteln

Ignoranz in weißen Kitteln
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„Unfassbar!“ – Das war meine erste Reaktion, als mir Anja von ihren Erfahrungen im Krankenhaus erzählte. Ich wähnte mich ja mit meinem Notfallarmband einigermaßen auf der sicheren Seite, aber nachdem ich Anjas Geschichte gehört habe, bin ich mir da mehr als unsicher:

Sie erhielt von ihrer Bielefelder Hausärztin eine Krankenhauseinweisung mit dem Verdacht auf eine akute Blinddarmentzündung. Als sie überlegte, welche Klinik für sie in Frage kam, fiel ihr das Klinikum Bethel ein. Dieses verfügt über eine Kinder Long Covid Station und eine Abteilung für seltene Erkrankungen. Dort sollte man sich also auch mit ME/CFS auskennen. Sie wurde aber dort abgewiesen mit dem Hinweis sie hätten keine Bauchstation.

Im Franziskus-Hospital in Bielefeld wurde sie schließlich aufgenommen. Dort hat sie sehr ausführlich versucht, dem Arzt in der Notaufnahme zu erklären, dass sie unter ME/CFS leidet. Hat ihm ihren Notfallausweis gezeigt und zusammen mit ihrem Mann versucht zu erläutern, was das für sie bedeutet. Doch wie so oft, hatte auch dieser Arzt noch nie von ME/CFS gehört. Wenigstens dokumentierte er den Notfallausweis, die Liste mit Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln.

Auch der Anästhesist hatte noch nie von ME/CFS gehört, sah sich aber die Empfehlungen im Notfallausweis an und handelte danach. Er gab sogar gegen Übelkeit alternativ und pragmatisch Cortison. Doch damit endete auch schon das einzig positive Erlebnis, das sie mit ME/CFS während ihres Krankenhausaufenthalts hatte.

Ab diesem Zeitpunkt bis zur Entlassung drei Tage später wurde sie mit ihren speziellen Bedürfnissen aufgrund von ME/CFS von insgesamt sechs Ärzten ignoriert: „Nicht ein einziger Arzt kannte ME/CFS, hat sich Informationen einholen wollen, hat mich wahrgenommen“, erzählte sie mir. „Keiner wusste was von Crashs, von lauten Geräuschen, von Helligkeit oder von Triggern.“

Was kommen musste, kam damit natürlich auch: Anja fiel in einen Crash (Post-Exertionelle Malaise), der mit einer adäquaten Behandlung wohl nicht ganz zu verhindern, aber in jedem Fall deutlich abzumildern gewesen wäre. Aber damit noch nicht genug: Der Crash wurde nicht nur komplett ignoriert, sondern sie wurde sogar noch dazu aufgefordert aufzustehen und sich zu bewegen.

Und das, obwohl man - spätestens seitdem es Long COVID gibt - auch in der Ärzteschaft wissen sollte, dass dann eine belastungsinduzierte Symptomverschlechterung droht. 

Am letzten Aufenthaltstag im Krankenhaus, zeigte eine Schwester privat Interesse an ME/CFS und Anja konnte ihr einige Informationsblätter mitgeben: „Es ist traurig, aber ich fühlte mich wie eine Rekrutiererin einer Sekte, die ein neues Mitglied gewinnen möchte. Ich habe viel geweint, einfach weil ich mich so unverstanden gefühlt habe. Jetzt gibt es inzwischen über 500.000 Erkrankte, und nicht ein Arzt, der mich im Krankenhaus behandelt hat, kannte ME/CFS“ sagte Anja.

Aufgrund der ME/CFS-Erkrankung brauchen Betroffene unbedingt eine reizarme Umgebung. Das wusste auch Anja und bat entsprechend um ein Einzelzimmer um sich selbst schützen und ihr Pacing aufrecht erhalten zu können. Doch da dies „nicht medizinisch begründet sei“, musste sie es selbst zahlen.

Auch nach so vielen Jahren Erfahrung mit ME/CFS machen mich Medical Gaslighting und Ignoranz, wie sie Anja erlebt hat, immer noch sprachlos. Doch wie können solche Erfahrungen verhindert werden? Schlimm genug, dass ME/CFS auch weiterhin seitens des Gesundheitsministeriums nicht priorisiert wird. Trotz steigender Zahlen. Trotzdem neben Influenza oder anderen Infektionen auch eine COVID-Infektion für eine nicht unerhebliche Zahl an Menschen in ME/CFS endet.

Daher mein dringender Appell an Herrn Lauterbach:

  • Sorgen Sie endlich für eine Aufnahme von ME/CFS in das Medizinstudium und für verpflichtende Weiterbildungen zu ME/CFS für Ärzteschaft, Pflege- und Rettungspersonal!
  • Spezialisieren Sie im Zuge der Krankenhausreform Kliniken nicht nur für die üblichen Erkrankungen, sondern etablieren Sie deutschlandweit Fachkliniken für ME/CFS!
  • Sorgen Sie endlich dafür, dass ME/CFS als chronische Erkrankung eingestuft und mit einem Disease Management Programm versehen wird.
  • Setzen Sie endlich für ME/CFS die erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen fest!

Damit endlich auch Patienten mit ME/CFS in akuten oder sogar lebensbedrohenden Situationen im Rettungswagen und im Krankenhaus auf geschultes Personal treffen. Damit sie adäquat, in einer reizarmen Umgebung und vor allem mit Respekt versorgt werden!  

Wie ist das bei Euch? Habt Ihr auch solche Erfahrungen machen müssen? Wie sieht Euer ideales, auf ME/CFS ausgerichtetes Krankenhaus aus? 

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