Depressionen inklusive
An manchen Tagen komme ich soweit ganz gut mit ME/CFS klar. Akzeptiere das, was ist und alle Einschränkungen, die damit zusammenhängen. Aber es gibt auch graue und sogar ganz schwarze Tage. Da braucht es dann manchmal nur einen zusätzlichen Trigger um ganz tief in die Depression zu fallen, die mich schon so lange begleitet. So wie neulich, als mir das Fotobuch von unserem Urlaub in Schweden in die Hände gefallen ist, den wir so sehr genossen haben.
In solchen Momenten schlägt es dann wie eine Welle über mir zusammen: Eine tiefe Traurigkeit über alles, was nicht mehr geht. Über all das, was ich so gerne wieder machen würde und was in meinem jetzigen Zustand unmöglich ist. Schuldgefühle, weil auch mein Mann und meine Familie unter meiner Krankheit leiden und Einschränkungen hinnehmen müssen.
Das zermürbende Gefühl es nicht hinzubekommen, wenn Rückschläge in Form von Crashes passieren – und das trotz all dem Pacing und all dem Verzicht. Da komme ich mir dann auch noch vor wie eine Versagerin. Und als ob das noch nicht reicht ist ist da noch die große, manchmal übermächtige Angst vor einer dauerhaften Verschlechterung, die immer wie ein Damoklesschwert über mir hängt. Die mal mehr und mal weniger präsent ist.
Wenn mich diese Gefühle im Griff haben, möchte ich nur noch die Decke über meinen Kopf ziehen und nichts mehr hören und nichts mehr sehen. Bin so niedergeschlagen, fühle mich einfach nur Tonnenschwer, als ob mich etwas herunterzieht. Fühle eine tiefe Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit. Dieser Zustand ist allerdings nicht zu vergleichen mit diesem „pieksigen“ Gefühl, wenn ich mich überlastet habe, mein Akku kurz vor leer ist. Es ist anders, mehr Traurigkeit und Schwere als wirklich Weinen.
Manchmal gelingt es meinem Mann, mich relativ schnell wieder aufzubauen und mir zu spiegeln, wie viel Hoffnung doch da ist. Aber es gibt auch die Tage, da gelingt das nicht und da kommen dann zusätzlich auch noch alte Verletzungen an die Oberfläche. Verletzungen aus meiner Kindheit, von denen ich gedacht habe, sie wären längst bearbeitet. Die bahnen sich dann doch noch mal den Weg an die Oberfläche und schmerzen.
Oder Dinge aus der jüngeren Vergangenheit, von denen ich gar nicht gedacht hätte, dass sie als Verletzung gespeichert sind: Zum Beispiel dieses Gefühl eine Bedrohung für andere Menschen zu sein, als die Abstandsregeln in der Anfangszeit der Corona-Pandemie verhinderten, Freunde zu umarmen. Und natürlich auch Dinge aus der Gegenwart: Wenn ich mit vor Schreck geweiteten Augen angesehen werde oder Menschen sich von mir abwenden, wenn ich eine Arztpraxis oder einen anderen geschlossenen Raum mit Maske betrete, um mich zu schützen.
Dann kommt doch auch immer mal wieder der Wunsch nach psychologischer Unterstützung auf. Auch wenn ich schon mehr als 10 Jahre Psychotherapie hinter mir habe, hätte ich doch gerne jemanden, der mich professionell dabei unterstützt, mit all den Widrigkeiten, die ME/CFS mit sich bringt umzugehen. Letztes Jahr habe ich auch mit mehreren Psycholog*innen gesprochen, aber es war niemand bereit, mit mir zu arbeiten, sobald ich darauf hingewiesen habe, dass es um Coping, also Krankheitsbewältigung, geht.
Selbst eine Psycho-Onkologin wusste nichts mit mir und meiner Krankheit anzufangen und sagte: „Wenn Sie Krebs hätten, würde ich mit Ihnen arbeiten, denn da weiß ich, dass er irgendwann weg ist. Aber Ihre Krankheit bleibt ja für immer. Da habe ich ja gar kein Konzept und es ist mir auch zu anstrengend eines zu erarbeiten.“ 😡 – Wumm, das hatte gesessen und ich hatte keine Lust mehr, mir noch so eine Abfuhr zu holen.
Aber selbst wenn ich jemanden finden würde, wäre dann ja noch der Wunsch nach einem Online-Angebot, denn um neben der Lymphdrainage auch noch einmal in der Woche zu einem Psychologen-Termin zu fahren, fehlt mir schlichtweg die Kraft. Aber so schön ich das Dorfleben inzwischen finde, für den Wunsch nach Online-Psychotherapie wohne ich definitiv in der falschen Gegend!
Und was bleibt dann mal wieder: Die Unterstützung meiner Familie und ich muss mir selbst helfen. Versuche, mit mehr oder weniger Erfolg die dunklen Gedanken beiseite zu schieben. Sport ist ja leider nicht mehr möglich und spazieren schleichen ist definitiv nicht dasselbe. Also was bleibt: Ich lese Bücher über Resilienz, bin in einer Selbsthilfegruppe und das Schreiben meines Blogs ist auch ein bisschen Therapie und ein bisschen Selbstwirksamkeit: Ich kann mir meine Gedanken von der Seele schreiben und die Interaktion mit meinen Lesern tut mir einfach nur richtig gut.
Eines ist mir noch einmal ganz wichtig zu betonen: Es liegt mir absolut fern, ME/CFS pauschal zu psychologisieren, denn ME/CFS ist eine körperliche Erkrankung (G93.3)! Wie bei jeder anderen schweren Erkrankung kann die Krankheitslast aber auch hier zusätzlich zu psychischen Problemen wie Depressionen führen. Es ist in dem Fall also genau das Gegenteil von Psychosomatik!
Wie ist das bei Euch? Habt Ihr auch so schwarze Tage? Wie geht Ihr damit um?
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