Der Besuch ist weg, das zwiespältige Gefühl bleibt
Kennt Ihr das auch: Immer wieder, wenn ich dem Besuch meine Situation mit ME/CFS beschreibe, weiß das Gegenüber es besser. Oder ich bekomme Ratschläge, die sich wirklich wie Schläge anfühlen. Im schlechtesten Fall sogar beides. Kaum jemand versteht, was diese Erkrankung tagtäglich für uns bedeutet. Natürlich ist das auch schwer, wenn man nicht 24/7 mit uns Betroffenen zusammenlebt. Und so wiederholt es sich immer mal wieder, wenn wir Besuch bekommen: Ich freue mich Freunde oder Bekannte nach langer Zeit wiederzusehen und finde es schön, deren Interesse und Mitgefühl zu erleben. Diejenigen, die uns besuchen, wissen zumindest etwas über ME/CFS Bescheid. Trotzdem überwiegt aber rückblickend meistens das Gefühl nicht verstanden worden zu sein.
Immer das gleiche Schema
Wie das kommt? Es läuft meist nach dem gleichen Schema: Mein Mann und ich erzählen über die täglichen Herausforderungen, die diese schwere Multisystemerkrankung sowohl für Betroffene als auch die Angehörigen mit sich bringt. Berichten über das schlechte Gewissen als Angehöriger auch mal an sich selbst zu denken und die so bitter notwendige Auszeit zu nehmen. Die Angst, dass ich trotz geplanter Unterstützung im Notfall doch alleine dastehe. Oder erzählen von der schlechten ärztlichen Versorgungslage im deutschen Gesundheitssystem. Und erhalten so oft ein und dieselbe Antwort: Das ist alles eine Frage der Organisation, da muss man nur dies oder jenes machen. Oder dass alles nur eine Frage des positiven Mindsets ist.
Es tut weh und triggert
Sicherlich sind solche Sätze gut gemeint. Sie fühlen sich aber mehr nach „Warum stellst Du Dich so an, ist doch alles total einfach“ an. Als ob man einfach zu blöd ist das hinzubekommen. Ein weiterer Klassiker: Gerade wenn man sich nur in großen Abständen sieht, werden die Besuche gerne miteinander verglichen. Wie oft wird mir gesagt: „Du siehst heute viel besser aus als letztes Mal. Geht es bergauf? “. Der Hinweis, was ich in Punkto Pacing vorher und nachher dafür tun muss, um an dem Gespräch teilzunehmen wird aber gerne ignoriert. Vielmehr wird vehement an der Ansicht festgehalten, dass es mir einfach besser geht. Und das tut nicht nur weh, sondern es triggert auch das Gefühl, dass mir nicht geglaubt wird.
Das zwiespältige Gefühl bleibt
Spätestens dann habe ich nicht mehr die Energie, dem Besuch zu erklären, dass ME/CFS nicht linear verläuft, sondern dass es bessere und schlechtere Phasen gibt. Dass konsequentes Pacing für weniger ausgeprägte Symptome sorgen kann, ohne dass sich an der Ausprägung der Erkrankung etwas geändert hat.
Was schlussendlich bleibt ist das zwiespältige Gefühl, wenn sich der nächste Besuch ankündigt. Denn vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass auch Emotionen enorm viel Energie kosten. Da wäre es doch besser, wenn es bei der Freude als einzige Emotion bliebe und nicht noch Traurigkeit und Frust hinzukommen.
Nachtrag: Dass es auch anders geht, zeigte sich, als dieser Beitrag gerade fertig war: Ein alter Bekannter besuchte uns und wir plauderten über alles Mögliche. Nur nicht über meine Erkrankung. Das hatte so etwas „normales“ an sich. Natürlich tut es gut über all die Sorgen und Ängste, den Frust und die Verzweiflung mit anderen reden zu können. Aber manchmal geht es genau darum einmal für eine gewisse Zeit wieder nur Tanja zu sein - und nicht die kranke Tanja.
Ich frage mich, ob ich mit diesem Gefühl allein bin. Habt ihr nach einem Besuch auch schon einmal diese Mischung aus Freude und Erschöpfung gespürt?
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