Was ist Pacing?

Was ist Pacing?
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Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS schreibt im April 2024 auf ihren Internetseiten unter anderem:

„Aus der Charakteristik der Post-Exertionellen Malaise (PEM) bei ME/CFS leitet sich ab, dass ein schonender Umgang mit den eigenen Energieressourcen notwendig und Überlastung strikt zu vermeiden ist. Es gilt die Häufigkeit und Schwere der Crashs zu reduzieren. Dieses Aktivitäts- und Energiemanagement ist international unter dem englischen Begriff „Pacing“ bekannt (zu übersetzen etwa mit: „sich selbst das richtige Tempo vorgeben“). Entwickelt wurde das heutige Pacing von ME/CFS-Forschenden und -Erkrankten in den 1980er Jahren, federführend von der Wissenschaftlerin Ellen Goudsmit. Je weniger das Pacing beachtet wird und je mehr Patient*innen zur Steigerung ihres Aktivitätsniveaus angehalten werden, desto länger bzw. schwerer die Crashs und die Symptomverschlechterung.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich durch Überlastung der Allgemeinzustand und somit die Lebensqualität der Patient*innen dauerhaft verschlechtert. Zentrale Botschaft des Pacings ist es daher, auf den eigenen Körper zu hören und innerhalb der eigenen Energiegrenzen zu bleiben. Es gibt keine harten Regeln oder „Fitness“-Ziele. Beim Pacing richtet sich stattdessen die Strukturierung der Aktivität streng nach den eingeschränkten körperlichen Energiereserven und Belastungsgrenzen der jeweiligen Patient:in. Im Idealfall können so die Erkrankten ihren Zustand auf einem gewissen Niveau stabilisieren und die Symptomlast reduzieren.

Große Patientenumfragen belegen den Nutzen von Pacing. Sowohl die amerikanischen Centers for Disease Control (CDC) als auch die neue Leitlinie des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) betrachtet Pacing als effektive und wichtige Begleitkomponente in der Behandlung von ME/CFS. So schreibt NICE, dass Überanstrengung die Symptome verschlimmern kann und dass bei einem „Flare Up“ (Crash) die Aktivität sofort zu reduzieren sei.

Das Pacing selbst ist jedoch keine Therapie. Es dient lediglich dazu, die mit der PEM verbundene Abwärtsspirale so gut wie möglich aufzuhalten.

Schwer Erkrankte können PEM allerdings häufig trotz Pacing nicht verhindern, da bei ihnen Tätigkeiten wie Essen, Waschen oder leichte Bewegungen einen Crash auslösen können.

Wie funktioniert Pacing?
Die Überlastungsschwelle, ab der sich PEM entwickelt, ist von Patient zu Patient unterschiedlich. Schwerer betroffene Menschen mit ME/CFS können bereits durch einfachste körperliche bzw. kognitive Aktivitäten (z. B. auf die Toilette gehen, Unterhaltungen, Nutzung von Social Media, Kochen) oder Reize (z. B. Geräusche, Licht, positive oder negative Emotionen) einen Crash erleiden, der die Symptomlast erhöht und das Funktionsniveau absenkt. Bei sehr schwer Betroffenen reicht schon das Aufrechtsein aus. Da das zu PEM führende Aktivitätsniveau von Patient zu Patient so unterschiedlich ist, müssen Patient*innen im Rahmen des Pacings herausfinden, welche Arten von Aktivitäten noch in welchem Umfang ohne anschließende Symptomverstärkung toleriert werden können.

Dies wird einerseits dadurch erschwert, dass sowohl körperlich als auch geistig anstrengende oder emotional belastende Situationen hierfür auslösend sein können. Andererseits tritt die PEM nicht selten erst mit einer Zeitverzögerung (von bis zu 72 Stunden) auf, wodurch die auslösende Aktivität nur schwer zugeordnet werden kann. Des Weiteren kann die persönliche Belastungsgrenze entweder im Erkrankungsverlauf, oder sogar täglich bzw. über den Tag hinweg schwanken, sodass die im Rahmen des Pacings getroffenen Maßnahmen ständig an den Gesundheitszustand angepasst werden müssen. Folglich müssen Patient*innen lernen mit ihrer persönlichen Ausprägung der Post-Exertionellen Malaise angemessen umzugehen. Ziel dieses Lernprozesses ist es, durch Aktivitäts- und Energiemanagement den Alltag so zu gestalten, dass möglichst selten PEM auftritt und die Symptomlast möglichst gering bleibt.

Aktivitäts- und Energiemanagement
Zum Pacing gehört aber nicht nur die „Tätigkeitskontrolle“ – sondern auch die strategische und vorausschauende Planung von Erholung und Schonung. Hierdurch wird der individuelle Puffer gegenüber PEM größer. Diese Form des Ressourcenaufbaus kann sogar effektiver sein als „nur“ die Vermeidung von Überlastung. Ein solcher Aufbau eines Puffers kann zum Beispiel in der Therapie der oft vorhandenen erheblichen Schlafprobleme (das Ziel sollten lange Schlafphasen mit Ausschlafen sein), in der Einplanung einer Mittagsruhe oder mehrerer solcher Pausen bestehen. Auch die möglichst weitgehende Vermeidung von belastenden Situationen (auch von emotionalen Konfliktsituationen) ist hilfreich – wenn auch leider am schwierigsten zu „machen“. Auch alles, was für Entspannung sorgt und dadurch das vagale („beruhigende“) autonome Nervensystem aktiviert, kann für (moderat) Betroffene hilfreich sein (von Atemübungen über Meditation bis zu Entspannungsübungen; auch die apparative Stimulierung des Vagusnervs wird in diesem Zusammenhang diskutiert, es gibt allerdings bisher keinen definitiven Nachweis einer Wirksamkeit).

Grundsätzlich sollten Patient*innen sich darüber im Klaren sein, dass sie dazu tendieren werden, eher zu viel als zu wenig zu tun. Erkrankte beschreiben regelmäßig, dass sie ihre Symptomlast am besten kontrollieren können, wenn sie nur 50 % von dem tun, was sie sich zutrauen.

Wenn Patient*innen sich für eine Pause entscheiden, sollten sie vollständig ruhen, d. h. keiner Aktivität nachgehen. Ablenkungen wie zum Beispiel Fernsehen, Radio bzw. der Konsum von Social-Media-Inhalten sollten währenddessen vermieden werden. Überlegungen zu geeigneten Maßnahmen sollten alle Bereiche des Lebens mit einbeziehen. In Pausenzeiten nutzen viele Menschen mit ME/CFS Schlafmasken, Sonnenbrillen oder Isolationskopfhörer (Kapselgehörschutz für Bauarbeiten oder Audiokopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung), um Reize zu minimieren.

Vor allem wenn PEM mit zeitlicher Verzögerung auftritt, bietet sich der Einsatz eines Aktivitätstagebuchs an, um Aktivitätsmuster, die die Belastbarkeit übersteigen, zu identifizieren und zu vermeiden. Ein Schrittzähler kann ferner dabei helfen, physische Aktivität zu messen, Schritt-Obergrenzen kennenzulernen (entgegen der klassischen Nutzung zur Erreichung von Leistungszielen) und diese sinnvoll über den Tag zu verteilen. Mentale bzw. emotionale Energie kann er jedoch nicht berücksichtigen.“

Für mehr Informationen geht auf die Seite der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS

Ein Video der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS mit einer Erklärung was Pacing ist, findet Ihr hier