Sozialhummel: Engagierte und respektvolle Assistenz bei schwerem ME/CFS
Neulich bin ich bei YouTube über das Video der Organisation Sozialhummel gGmbH gestolpert. Wie gebannt habe ich zugesehen, wie engagiert und respektvoll der Assistenzdienst dort mit schwer an ME/CFS Erkrankten umgeht und wie sehr die Erkrankung und die damit einhergehenden Bedürfnisse der Betroffenen verstanden werden. Ich war so beeindruckt, dass ich beschlossen habe, der Sozialhummel einen Beitrag auf meinem Blog zu widmen. Denn das ist genau das, was schwer Betroffene benötigen: Hilfestellung, die wirklich unterstützt, nicht eine, die die Abwärtsspirale noch befeuert!
Laut ihrer Homepage ist es das Ziel der Organisation, Betroffene und ihre Familien niedrigschwellig, schnell und unkompliziert zu unterstützen, indem Helfernetzwerke aufgebaut, die notwendige Versorgung vor Ort organisiert und bei der Pflege und Eingliederungshilfe beraten und unterstützt wird.
„Um diesen Menschen helfen zu können, können Pflegedienste, ehrenamtliche Helfer, Nachbarschaftsinitiativen und Anbieter von haushaltsnahen Dienstleistungen die Aufgaben übernehmen.“, sagt Geschäftsführerin Silke Horn. Da die Kosten für diese umfassende Unterstützung jedoch oft nicht vollständig von Kostenträgern abgedeckt werden, ist die Organisation zusätzlich auf Spenden angewiesen.
Das klingt erst einmal ein wenig abstrakt, daher habe ich Silke Horn noch paar Fragen gestellt, die mich ganz praktisch interessiert haben:
Tanjas Pacingblog: Gibt es Ihre Organisation nur in NRW oder wissen Sie von ähnlichen Strukturen in den anderen Bundesländern?
Silke Horn: Unser Assistenzdienst arbeitet grundsätzlich deutschlandweit, allerdings haben wir bisher aufgrund der räumlichen Nähe die meisten Kunden in NRW und Rheinland-Pfalz. Gerade aufgrund des Erfolges des Videos werden wir wahrscheinlich jetzt auch in anderen Bundesländern Hilfe leisten.
Tanjas Pacingblog: Muss man einen Pflegerad haben? Und wenn nicht: Helfen Sie auch bei der Beantragung?
Silke Horn: Die Eingliederungshilfe ist unabhängig von einem Pflegegrad. Bei schwer Betroffenen hilft allerdings der Pflegegrad. Wir helfen selbstverständlich bei der Beantragung, wenn der Hilfebedarf sehr groß (also 24h / Tag) ist.
Tanjas Pacingblog: Gilt Ihr Angebot nur für schwer Betroffene oder gibt es auch Hilfsangebote für moderat Betroffene (z.B. zu Arztterminen begleiten, Termine vereinbaren, Hausbesuche organisieren, Haushalt, Kommunikation mit Behörden/Krankenkassen, Medikamente stellen, Briefe schreiben,…)
Silke Horn: Wir beraten grundsätzlich jeden. Für Betroffene, die nur wenige Stunden pro Tag Hilfe benötigen, können wir allerdings keine Assistenz stellen. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, dass Betroffene mit Hilfe von pflegenden Angehörigen oder über eine Beratungsstelle (z.B. EUTB) einen Antrag auf Assistenz für wenige Stunden stellen und im sogenannten Arbeitgebermodell sich selbst um das Bewerbungsmanagement oder die Versorgung und Planung mit Assistenz kümmern.
Tanjas Pacingblog: Wie viele ME/CFS-Erkrankte betreuen Sie?
Silke Horn: Derzeit versorgen wir zwei ME/CFS Erkrankte in NRW für 24h/Tag rund um die Uhr.
Tanjas Pacingblog: Was genau bieten Sie ME/CFS-Erkrankten an Hilfestellung an?
Silke Horn: Wir beraten hinsichtlich der Eingliederungshilfe und der Pflege. Schwer Betroffene möchten wir mit Assistenz helfen (24h rund um die Uhr). Wir helfen bei allem, was diese Versorgung mit Assistenz in der eigenen Häuslichkeit angeht. Leider können wir Betroffene in den Pflegeheimen nicht helfen, weil sich ambulante und stationäre Hilfen ausschließen. Hier sehen wir einen großen Bedarf und planen Wohnprojekte, um Betroffene aus den Pflegeheimen herauszuholen, damit diese mit Assistenz in einer Wohnung wieder selbstbestimmt leben können.
Tanjas Pacingblog: Wie ist der genaue Ablauf, wenn man sich an Sie wendet und um Hilfe bittet?
Silke Horn: Ich führe als erstes Beratungsgespräche, bestenfalls telefonisch, wenn das irgendwie noch geht, notfalls mit Helferpersonen aus dem Umfeld, die den Bedarf kennen. Wir beraten unabhängig davon, ob der / die Betroffene Kunde wird oder nicht. Sollte jemand Assistenz für 24h/ Tag von uns haben wollen, startet unser Kunden-Aufnahmeprozess. Wir lernen die Betroffene und / oder die Helferpersonen kennen und unterstützen bei der Antragstellung. Wir helfen auch - soweit möglich - mit anwaltlicher Unterstützung, wenn der Kostenträger den Bedarf nicht sieht.
Nach dem Bedarfsermittlungsgespräch suchen wir die Assistenten und stellen ein Team zusammen. Während der Versorgung unterstützen wir natürlich auch, aber das würde schriftlich zu weit führen, dies alles zu beschreiben.
Das wesentliche, was ich bisher aus der Beratung von ME/CFS-Betroffenen oder deren Angehörigen gelernt habe ist, dass die meisten gar nicht wissen, dass sie ein Anrecht auf Eingliederungshilfe haben und mit den "üblichen" Pflegekassen-Hilfen völlig unterversorgt sind. Das ist auch unser Anliegen, warum wir den Film mit Katrin gedreht haben: Wir möchten erst einmal auch damit helfen, zu informieren, dass jeder Mensch mit Behinderung ein Recht auf Eingliederungshilfe hat.
Tanjas Pacingblog: Ich kann mir vorstellen, dass sie nach dem Video von Anfragen überrannt werden?!
Silke Horn: Da ich gerade sehr viele Betroffene berate, habe ich vor, eine Beratungssprechstunde per Teams oder Zoom anzubieten, um für Fragen zur Verfügung zu stehen. Gerne möchten wir diesen Video-Call mitfilmen, um die Sprechstunde auch anderen Ratsuchenden oder Selbsthilfegruppen zur Verfügung zu stellen.
Vielen Dank an Silke Horn für den ausführlichen Einblick in ihre so wichtige Arbeit!
Für weitere Informationen: ME/CFS-Hilfe - Sozialhummel gGmbH. Und das ist das Video „Lebendig begraben“, in dem Katrin von ihren Erfahrungen erzählt:
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